Archiv der Kategorie: Ostermarsch 2013

Ostermarsch 2013

Mit dem Motto „Hand in Hand – für eine faire Asylpolitik“ appellierte der Schweizer Ostermarsch 2013 an die Solidarität mit schutzsuchenden Flüchtlingen und mobilisierte 500 Friedensaktivist/-innen zum friedlichen marschieren durch die Stadt Bern.

Die Demonstrierenden auf der Kirchenfeldbrücke
Die Demonstrierenden auf der Kirchenfeldbrücke

Zum 11. Mal versammelten sich die Friedensbewegten am 1. April 2013 im Eichholz, um in einem friedlichen Marsch in Richtung Berner Münster zu spazieren. Mit einer engagierten Begrüssung bestärkte das Organisationskomitee die Teilnehmenden in ihrem Engagement für schutzsuchende Flüchtlinge. Musikalisch begleitet wurde der Auftakt durch den Mundart-Musiker Port Roh. Bei kühlen Temperaturen aber schönem Wetter und mit dem Anliegen keine weiteren Verschärfungen des Asylgesetzes zuzulassen, nahmen 500 Frauen, Männer und Kinder den Weg unter ihre Füsse.

Auf dem Münsterplatz begrüssten Najat Suleiman, Hassan Taha und Titus Bellwald die Spaziergängerinnen und Spaziergänger mit orientalischen Liedern aus Syrien. Es folgte Aldo Brina, Informationsbeauftragter Sektor Flüchtlinge vom Centre Social Protestant Genf. Er betonte, dass die prekäre Lage in den Heimatländern die Anzahl der Asylgesuche in der Schweiz bestimme. Eine Verschärfung fördere lediglich die lebensgefährlichen Bedingungen, unter denen die Menschen einreisen. Unterstützt wurde dieses Statement durch die persönliche Geschichte von Meral, einer Kurdin aus der Türkei. Vor 10 Jahren Haft bedroht, konnte die junge Frau dank dem Botschaftsverfahren sicher in die Schweiz gelangen. Andreas Cassee, Migrations- und Ethikspezialist, machte auf die massiven Einschränkungen für Kriegsdienstverweigerer aufmerksam. Menschen, die sich grössten Risiken aussetzen, um sich nicht an Gewalttaten eines Unrechtregimes zu beteiligen, sind durch die Asylgesetzrevision ohne Schutz.

Die friedliche Stimmung und die schmackhafte Verpflegung durch einen jurassischen Bio-Hof rundeten den Nachmittag ab. Auch der diesjährige Ostermarsch wurde in Zusammenarbeit von Kirchen und Friedensorganisationen organisiert und knüpfte an die Tradition an, am Ostermontag für Frieden und gegen Gewalt und Unterdrückung einzustehen.

Eine Auswahl an Bilder finden Sie hier:

«Wenn man Kämpfe nicht führt, wird es schwieriger»

Neue Wege-​Ge­spräch von Matt­hias Hui mit An­dreas Nufer

Das Re­fe­ren­dum gegen die vom Par­la­ment be­schlos­se­nen dring­li­chen Än­de­run­gen des Asyl­ge­set­zes ist im Ja­nuar 2013 ein­ge­reicht wor­den. Eine breite Ko­ali­tion von Jung­par­tei­en, Asyl­or­ga­ni­sa­tio­nen, Ba­sis­be­we­gun­gen und kirch­li­chen Grup­pie­run­gen hat in den letz­ten Mo­na­ten eine grosse Ar­beit ge­leis­tet. Über­zeu­gungs­ar­beit auch in den ei­ge­nen Rei­hen: Nicht we­nige Hilfs­wer­ke, grös­sere NGOs und die SP-​Ge­schäfts­lei­tung un­ter­stütz­ten die Er­grei­fung des Re­fe­ren­dums nicht, da sie in der Volks­ab­stim­mung eine Nie­der­lage be­fürch­ten; damit könn­ten ihrer Mei­nung nach die Ver­schär­fun­gen eine zu­sätz­li­che Le­gi­ti­ma­tion er­hal­ten und rechts­po­pu­lis­ti­sche Kräfte ge­stärkt wer­den. Nun kom­men aber auch diese Or­ga­ni­sa­tio­nen an Bord, der Schwei­ze­ri­sche Evan­ge­li­sche Kir­chen­bund etwa hat nun be­reits die Ab­leh­nung der Asyl­ge­setz­re­vi­sion be­schlos­sen.Wel­che Mo­ti­va­tion steht hin­ter der selbst­be­wuss­ten Er­grei­fung des Re­fe­ren­dums? Wel­che po­li­ti­sche Hal­tung führt die Asyl­be­we­gung dazu, Prä­senz zu zei­gen und mit dem Re­fe­ren­dum ein öf­fent­li­ches Forum zu schaf­fen? Gibt es al­len­falls sogar eine Spi­ri­tua­lität der Be­harr­lich­keit, des lan­gen Atems im Ein­satz für die Grund­rech­te? Sol­chen Fra­gen gehen die Neuen Wege im Ge­spräch mit An­dreas Nu­fer, Pfar­rer in Bern und seit Jah­ren en­ga­giert für eine so­li­da­ri­sche Mi­gra­ti­ons­po­li­tik, auf den Grund.

Das Gespräch von Matthias Hui mit Andreas Nufer ist im Magazin „Neue Wege“ erschienen. Lesen sie hier weiter.

Desertion darf kein Ausschlussgrund für Asyl sein!

Die GSoA unterstützt das Referendum gegen die erneute Verschärfung des Asylgesetzes aus mehreren Gründen. Der wichtigste ist der Ausschluss der Kriegsdienstverweigerung als Asylgrund.
Von Jo Lang, erschienen in der GSoA-Zeitung Nummer 152

Vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien, wo die Desertionen die einzige Chance sind, den Despoten ohne Blutvergiessen zu stürzen, ist der Ausschluss der Kriegsdienstverweigerung als Asylgrund besonders grotesk. Hinter diesem Revisionspunkt steckt vor allem die SVP, insbesondere Christoph Blocher. Am 20. Dezember 2005 hatte die (inzwischen ins Bundesverwaltungsgericht überführte) Asylrekurskommission (ARK) ein Grundsatzurteil veröffentlicht, wonach die Bestrafung von Militärverweigerung und Desertion in Eritrea unverhältnismässig streng und deshalb als politisch motiviert einzustufen sei. Die betroffenen Personen seien deshalb als Flüchtlinge anzuerkennen. Das bedeutete eine Desavouierung Blochers und des Bundesamtes für Migration (BFM). In der Folge setzte die SVP massiv Druck auf, um diesen Entscheid über eine Gesetzesänderung auszuhebeln.

Die bundesrätliche Verschärfung…
Im Mai 2010 schlug der Bundesrat folgenden neuen Absatz 3 zu Artikel 3 des Asylgesetzes vor: «Keine Flüchtlinge sind Personen, die einzig wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.» Der Ständerat, der am 12. Dezember 2011 als Erstrat die Asyl-Revision beriet, unterstützte diese Verschärfung mit 24 : 14 Stimmen. Zur Kommissionsminderheit gehörte der CVP-Fraktionschef Urs Schwaller: «Erstens würde, das geht auch aus einem Schreiben des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge hervor, der vorgeschlagene Ausschluss von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren von der Flüchtlingseigenschaft eine Abweichung vom Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention darstellen, und das wäre im internationalen Kontext ein Alleingang.» Als zweitens zitierte Schwaller Aussagen von Bundesrätin Sommaruga aus der Kommission: «Das ist Politik im Symbolbereich» (weil die eritreischen Deserteure ohnehin nicht zurück geschickt werden können.)

… wird durch den Nationalrat zweifach verschärft
Die Sprecherin der Kommissionsmehrheit, Christine Egerszegi-Obrist (FDP), wies dann auf das Wörtchen «einzig» hin und sagte in diesem Zusammenhang, dass Desertion weiterhin ein Asylgrund sei, sofern wegen ihr «eine unmenschliche Behandlung» drohe. Der Nationalrat hat dann die bundesrätliche Bestimmung zusätzlich massiv verschärft, indem er das Wörtchen «einzig» strich. Andreas Gross (SP), der mit dem bundesrätlichen Vorschlag hätte leben können, führte am 13. Juni 2012 aus, was diese Streichung bedeutet: «Einer, der Wehrdienstverweigerer ist, hätte dann nicht mehr das Recht, um Asyl zu ersuchen, er könnte keinen Flüchtlingsstatus mehr erhalten. Die Bestimmung wäre, wenn Sie das Wort ‚einzig‘ streichen, völkerrechtswidrig und würde der Konvention widersprechen.»

Der Nationalrat setzte noch eine weitere Verschärfung durch: die Dringlichkeit der Änderung dieser Bestimmung. Diese ist, wie auch ein Gutachten des Justizdepartements ergab, eindeutig nicht vorhanden. Artikel 165 der Bundesverfassung lässt Dringlichkeit nur zu, wenn diese zwingend gegeben ist. Das trifft hier allein schon nicht zu wegen dem Umstand, dass Deserteure aus Eritrea ohnehin nicht zurückgeschickt werden können, das Gesetz in nächster Zeit also keine praktischen Folgen hat.

Militaristische Ideologie
Das Streichen des Wörtchens «einzig» sowie die völlig willkürliche Dringlicherklärung bestätigen, dass es bei dieser Verschärfung um Ideologie geht. Die Verachtung von Desertion gehört zu den Kerngehalten von Nationalismus und Militarismus. Kriegsverweigerung, die nie ein ausschliesslicher und ausdrücklicher Asylgrund war, wird nun ausschliesslich und ausdrücklich als solcher ausgeschlossen. Allerdings steht die Asylverweigerung für Kriegsverweigerer völlig im Einklang mit der Förderung der Kriegsmaterialexporte durch die gleichen Parteien und PolitikerInnen. Häufig tragen die helvetischen Kriegsmaterialien dazu bei, dass Menschen zur Flucht gezwungen werden.

Die Verachtung von Desertion ist verankert in den mentalen Tiefenstrukturen der bürgerlich-traditionalistischen Schweiz. Deshalb war die Schweiz das letzte Land, das Militärverweigerern, diesen sogenannten «Staatskrüppeln», einen Zivildienst zugestand. Wegen dieser engen Verknüpfung von Bürgerrecht und Wehrpflicht war das eidgenössische Männervolk das letzte, das die Frauen zu Bürgerinnen machte. Deshalb tut sich die Schweiz so schwer mit der Aufhebung der Wehrpflicht. Diese Schweiz, gegen die die GSoA vor 30 Jahren angetreten ist, trägt die Verantwortung für die Abschaffung der Desertion als Asylgrund.

Die GSoA-Kampagne gegen die Verschärfung des Asylgesetzes wird den militaristischen Stier bei den Hörnern packen. Wir werden die Verweigerung von Militär und Krieg als positive und politische Friedens-Aktionen darstellen. Deserteure schützen heisst den Frieden fördern.


Weitere Verschärfungen
Die Revision des Asylgesetzes führt zu weiteren Verschärfungen. Die schwerwiegendste ist die Abschaffung des Botschafts-Asyls. Das zwingt Flüchtlinge, den weiten und häufig gefährlichen Weg an die Schweizergrenze auf sich zu nehmen, um hier vielleicht Asyl zu bekommen. Besonders trifft diese Verschärfung Frauen und Kinder. Der Anteil von asylsuchenden Frauen ist in der Schweiz ein Drittel tiefer als in den Schweizer Botschaften.

Die Einweisung «renitenter» Flüchtlinge in Sonderzentren ist rechtsstaatlich fragwürdig, weil die Definition von «renitent» völlig willkürlich ist. Völlig undemokratisch ist die Dringlichkeit. Die Verfassung, welche diese nur zulässt, wenn die Massnahme «keinen Aufschub duldet», wird eindeutig verletzt.

Nicht nur Mauern

(Dieser Text wurde von Heiner Busch verfasst und im megafon, der Zeitung aus der Reitschule Bern, publiziert. www.megafon.ch)

Stetig mächtigerer Grenzschutz, Radar-, Drohnen- und Satellitenüberwachung sowie mehr und mehr Datenbanken: Die EU rüstet auf –dystopischer denn je.

Der kürzlich verstorbene Jakob Arjouni hat vor einigen Jahren eine satirische Negativutopie vorgelegt: Sein Roman «Chez Max» spielt im Jahr 2064. Ein Zaun schützt das mit Wohlstand und allen Fortschritten der Technik gesegnete «Eurasien» vor der Armut, der Gewalt und den Bürgerkriegen im Süden und natürlich auch vor illegalen Einwanderern, die den «Terrorismus» ins gelobte Land importieren könnten. In Eurasien ist es gängige Praxis, dass Verbrechen bereits im Vorfeld erkannt werden. Für das Ausschalten potenzieller Täter_innen und «illegaler» Immigrant_innen sorgt die staatliche Geheimorganisation «Ashcroft», für die Max Schwarzwald, die Hauptfigur des Romans, der Wirt des «Chez Max», arbeitet.
Satire hat das Recht auf Übertreibung, allerdings muten viele Elemente der Erzählung durchaus realistisch an. Nachdem die Mauern des Kalten Krieges gefallen sind, treten die Grenzen zwischen den reichen kapitalistischen Metropolen und der Peripherie umso deutlicher hervor. An einigen Stellen sind es in der Tat «Zäune», die die Trennlinie markieren. Ceuta und Melilla, die spanischen Außenposten in Afrika, sind seit Jahren durch mehrere Meter hohe Absperrgitter vom marokkanischen Umland getrennt. Griechenland lässt derzeit am Evros, dem Grenzfluss zur Türkei im Nordosten des Landes, eine weitere Mauer bauen. Solche militärisch geschützten physischen Barrieren machen den gewaltsamen Charakter der Grenze zwischen Europa und dem Trikont, die in den letzten Jahren tausende Menschenleben gekostet hat, offensichtlich.

Frontex
Über ein Grenzschutzkorps, wie es der damalige deutsche Innenminister Otto Schily im März 2001 gefordert hatte, verfügt die EU zwar (noch) nicht. Die Grenzschutzagentur Frontex, die im Oktober 2005 ihren Betrieb aufnahm und seither einen kontinuierlichen
personellen und finanziellen Ausbau erlebte, hat zwar formell nur «koordinierende» Funktion. Allerdings hat sie ebenso kontinuierlich an politischem Gewicht zugelegt. Sie testet und entwickelt neue Technologie. Sie verhandelt mit Pufferstaaten auf der anderen Seite der EU-Aussengrenzen. Vor allem aber leistet sie mit den von ihr koordinierten gemeinsamen Operationen der Schengener Grenzpolizeien einen zentralen Beitrag zur Abschottung der Grenzen.
Mit der neuen Frontex-Verordnung von 2011 erhielt die Agentur eine breitere personelle und technische Basis: Die Schengen-Staaten ordnen nun Grenzschützer_innen für jeweils ein halbes Jahr als «nationale Experten» an Frontex ab. Für die Aufstellung von Frontex-Unterstützungsteams bilden die nationalen Grenzpolizeien nun «Pools» von Beamt_innen, die innerhalb von dreissig Tagen für eine gemeinsame Operation aufgeboten werden können. Solche festen Kontingente gab es bisher nur für die «Soforteinsatzteams» (Rabits), die bis anhin aber nur einmal genutzt wurden – nämlich an der griechisch-türkischen Grenze. Ähnliches gilt bei der Ausrüstung. Auch hier müssen sich die Schengen-Staaten nun anhand eines Jahresplans verpflichten, Frontex Material zur Verfügung zu stellen. Zudem darf die Agentur nun in grösserem Masse selbst Ausrüstung anschaffen. Der Übergang zu permanenten gemeinsamen Operationen ist damit gewährleistet.

Eurosur
Auch mit dem Aufbau des Grenzüberwachungssystems «Eurosur», der bis 2014 abgeschlossen sein soll, wird Frontex mehr Macht gewinnen. Die Agentur wird künftig als eine Art Einsatzzentrale der nationalen Grenzschutzkoordinationsstellen dienen, in die in einigen Staaten auch militärische Apparate (etwa die Marine oder militärische Polizeien) eingebunden sind.
Das Überwachungssystem wird sich neben den mittlerweile üblichen Radarsystemen an den Küsten auch auf Positionsdaten aus Schiffsortungssystemen und Fischereiüberwachungszentren stützen. Nutzen will man aber auch Daten aus Drohneneinsätzen und der Satellitenaufklärung im Rahmen des EU-geförderten GMES- Projekts (Global Monitoring of Environment and Security). Satelliten erfassen grosse Teile der Erde und können daher auch Bilder von offener See und von Drittstaaten liefern, erklärte die EU-Kommission 2008 in ihrer Vorstellung des Projektes. Das tun sie aber nur beim Überflug des betreffenden Gebiets. Wegen der bis zu zwei Tage langen Zwischenzeiten hielt die Kommission den Rückgriff auf Satellitenbilder nur da für sinnvoll, wo kein sofortiges Handeln gefordert sei – bei vorher bestimmten, insbesondere bei weiter entfernten Gebieten. Drohnen brauchen Treibstoff und können nicht permanent fliegen. Sie seien anders als Satelliten geeignet, «Objekte» zu verfolgen und ständig Bilder zu liefern.

Noch mehr Datenbanken
Datenbanken bildeten seit den 70er Jahren schon im nationalen Rahmen den Hintergrund der Grenzkontrolle. Mit dem Schengener Informationssystem (SIS) entstand das erste supranationale polizeiliche Datensystem. Seit seiner Inbetriebnahme im Jahre 1995 handelte es sich kontinuierlich bei über 80 Prozent der darin gespeicherten Personen um «Drittausländer_innen », die zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben waren. Daran wird auch die Einführung des SIS der zweiten Generation nichts ändern.
Mit dem SIS II, das im März in Betrieb gehen soll, und dem Visa-Informationssystem (VIS), das Ende des Jahres weltweit allen Konsulaten der Schengen-Staaten zur Verfügung stehen wird, hält bei der Grenzkontrolle auch die Biometrie Einzug. Eine Technik, die noch in den 90er Jahren allenfalls dazu geeignet schien, den Zugang zu speziell zu sichernden Orten auf einige wenige Befugte zu begrenzen, soll nun für die Zugangskontrolle zu einem Kontinent sorgen. SIS II und VIS, die auf einer gemeinsamen technischen Plattform betrieben werden, unterstreichen den engen Zusammenhang zwischen der verpolizeilichten Ausländer- und Visumspolitik der EU einerseits und der in starkem Maße auf Ausländer_innen ausgerichteten Polizeikooperation andererseits. So werden die Konsulate das polizeiliche SIS II abrufen, während die Polizei sowohl bei Grenz- als auch bei Inlandskontrollen Zugang zum VIS erhält.
Die Verzögerungen beim Aufbau dieser beiden seit 2001 geplanten Systeme hält die EU nicht davon ab, weitere Datenbanken zu entwickeln. Im Rahmen ihrer «Smart-Borders»-Initiative soll unter anderem ein Ein- und Ausreise-Kontrollsystem (EES) entstehen. Im
Visier hat man dabei die so genannten Overstayers, also Leute, die zwar legal einreisen, aber nach Ablauf der Visumsfrist oder der üblichen 90 Tage visumsfreien Aufenthaltes
bleiben. Alle «Drittausländer_innen» sollen bei ihrer Einreise mit ihren Fingerabdrücken erfasst werden. Wird die Ausreise nicht in der vorgesehenen Frist registriert, soll das EES dann einen Alarm ausgeben.

Die Grenze ist überall
Das Bild der «Festung» taugt nur begrenzt für die Beschreibung der neuen europäischen Grenzen. Diese sind eben nicht nur Mauern auf einer bestimmten Linie. Sie beginnen weit davor. Nachbarstaaten werden als Pufferstaaten genutzt. In den 90er Jahren waren es Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn, die sich in die Kontrolle und Überwachung ihrer Westgrenzen einbinden ließen. Heute haben die Ukraine im Osten und die Türkei im Südosten diese Funktion übernommen. Und auch die Mahgreb-Staaten haben es trotz des arabischen Frühlings nicht geschafft, sich aus dieser Rolle zu befreien.
Zugleich hat die Abwehr unerwünschter Immigrant_innen und Flüchtlinge eine Vergrenzung des Inlands bewirkt: Sie zeigt sich zum Beispiel in «verdachts- und ereignisunabhängigen» Kontrollen, die auch das Grenzwachtkorps betreibt, seit die Schweiz der Schengen-Gruppe beigetreten ist.
Arjounis Jahr 2064 hat schon begonnen, nur ist es nicht so komisch wie im Roman.

> Heiner Busch <

Was ein Bonusprogramm der Migros auch noch sein kann

(Dieser Text wurde von Cora Dubach verfasst und im megafon, der Zeitung aus der Reitschule Bern, publiziert. www.megafon.ch)

Die Solikarte – eine Cumulus-Karte des Grossverteilers Migros, mit welcher wir gemeinsam für Nothilfebezüger_innen und Sans-Papiers sammeln. Die Idee, die Geschichte und wo man sie bestellen kann.

Steter Tropfen füllt das Becken? Oder wenn viele täglich eine kleine Spende tätigen, zeigen sie zusammengenommen ihre Wirkung? So ist unser Projekt Solikarte konzipiert. Die Idee ist simpel und überzeugend: Anstatt, dass jeder und jede Migroseinkäufer_in ein eigenes Cumulus-Konto eröffnet und für sich alleine beim täglichen Einkauf Punkte sammelt, die ihm/ihr im zweimonatigen Rhythmus in Form von Geldgutscheinen ausbezahlt werden, haben sich Freundinnen und Freundesfreunde, Bekannte und Bekannte der Bekannten dazu entschieden, gemeinsam auf einem Cumulus-Konto alle ihre Punkte zu sammeln. So wurden der Solikarte – eigentlich eine ganz normale Cumulus-Karte – immer höhere Beträge ausbezahlt. Die erhaltenen Einkaufs-Gutscheine wurden im Rahmen des Solidaritätsnetzes Ostschweiz an Nothilfebezügerinnen und Nothilfebezüger verteilt, die damit eine kleine Erleichterung ihres spartanischen Budgets von durchschnittlich 8 Franken täglich pro Perso, erlebten. Nun reicht es einer Familie beispielsweise auch für Windeln für ihre Tochter.

Von St.Gallen nach Bern und bald bis nach Genf

Die Solikarte fand ihren Weg von Hand zu Hand gereicht bis nach Zürich und Basel, wo sie in vielen Portemonnaies fleissiger (anonymer) Migros-Einkäufer_innen landete. Geplant war schon die Ausdehnung nach Basel und Luzern. Ein Informatiker begann eine Homepage aufzubauen, neue Flyer waren schon fast druckreif als uns ein wichtiger und grosser Player unverhofft einen Strich durch die Rechnung machen wollte. Die Mirgos drohte in einem Schreiben mit der Sperrung des Solikartenkontos, was ein Aus für unser gesamtes Projekt bedeutet hätte. Nach viel Engagement mit Herzblut, Zeitungsberichten und Öffentlichkeitsarbeit fanden wir uns am Verhandlungstisch mit der Migros wieder, wo wir uns auf ein Weiterbestehen der Solikarte einigen konnten. Das Projekt war gerettet.

Heute wird die Solikarte schweizweit verbreitet, immer noch meist von Hand zu Hand, über Freunde von Freundinnen, aber auch über Berichte in den Medien und Beilagen in Postversänden oder direkt über Bestellungen über unsere Homepage www.solikarte.ch.

Die Umsatzzahlen der Solikarte steigen stetig, füllen das Becken –momentan können etwa 5‘000 SFr. in Form von Migros-Gutscheinen pro Monat weitergegeben werden. Die Gutscheine werden auf die bis jetzt bestehenden Regionalgruppen in St. Gallen, Zürich, Aargau, Luzern, Basel, Bern, Tessin und demnächst auch in der Romandie ihrem Umsatz entsprechend verteilt, wo diese über bereits bestehende Organisationen, die im Asylwesen tätig sind, an Nothilfebezüg_innen und Sans-Papiers weitergegeben werden. So hat die Solikarte seit den ersten Anfängen im Jahr 2009 bereits über 20 000 Franken Gutscheine eingebracht.

Spenden und auch sensibilisieren

Doch die Solikarte ist leider lediglich ein Tropfen auf den heissen Stein. Sie vermag weder die aufgeheizte und fremdenfeindliche politische Debatte abkühlen noch die prekäre Lage von Nothilfebezüger_innen gänzlich lindern. Die Solikarte ist nur eine Art der Reaktion auf die heutigen Umstände, eine alltägliche und beiläufige während des täglichen Einkaufes. Sie darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Schweiz auf dem Gebiet der Asylpolitik weit mehr Engagement, Hinsehen, Nachfragen, Aufstehen, Unterschreiben von Nöten ist um dem so hochgejubelten humanitären Erbe der Schweiz gerecht werden zu können.

Die Solikarte sammelt nicht nur grosse Beträge, die aus vielen Kleinspenden zusammen kommen, sondern trägt auch dazu bei, dass Cumulus-Punktesammler und –sammlerinnen sich mit der Asyl und Migrationspolitik konfrontiert sehen, sich mit diesem Thema auseinanderstzen.

> Cora Dubach <